Montag, 26. November 2012

1. Lesung des Gesetzentwurfs von CDU/FDP zur Änderung des HSchG

Aus dem Protokoll der 117. Plenarsitzung des Hessichen Landtags

Claudia Ravensburg (CDU):

Wir haben [den Eltern (Red.)] zugehört, und wir werden die Wahlmöglichkeit schaffen. Nicht erfreut von unserer Gesetzesinitiative ist allerdings die hessische SPD. Frau Habermann, da brauche ich Ihre Rede gar nicht erst abwarten. Dass die Gymnasien zu G 9 zurückkehren können, können Sie nicht kritisieren. Also monieren Sie in Ihren Presseerklärungen, dass G 8 nicht ganz abgeschafft wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber genau das wollen die hessischen Eltern nicht.
[...]
Viele Eltern wünschen weiterhin die Unterrichtung ihrer Kinder in G 8. Wenn aber die einzige Schule mit einem G-8-Angebot im Umkreis von 20 km auf G 9 wechselt, hätten diese Eltern und diese Kinder keine Möglichkeit mehr dazu. Deshalb wollen wir mit einem Modellversuch erreichen, dass einige Schulen beide Bildungsgänge parallel anbieten. Das ist insbesondere dort interessant, wo die nächste Schule eben nicht, wie es in Frankfurt der Fall ist, gleich um die Ecke liegt.
[...]
Mit der CDU und der FDP wird es keine Rücknahme der Stellen für Ganztagsangebote geben, wenn die Schule zu G 9 zurückkehrt. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Angebot eines Mittagstisches und ein hochwertiges Nachmittagsangebot sind unabhängig von der Schulform und dem Bildungsgang an den Gymnasien.
[...]
Wir wollen die Bildungspolitik gemeinsam mit den Eltern weiterentwickeln. Die CDU ist dazu bereit. So werden wir während der Anhörung aufmerksam zuhören und freuen uns bereits jetzt auf die Beratungen im Ausschuss.


Heike Habermann (SPD):

Seit mehr als zehn Jahren wird in Hessen über G 8 diskutiert. Schulen, Eltern, Schülerinnen und Schüler haben sich inzwischen mit G 8 arrangiert. Sie haben aber das Modell der Verkürzung in der Mittelstufe nie akzeptiert.
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G 8 war, ist und bleibt Murks.
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Die Verkürzung der Mittelstufe nimmt den Kindern die Zeit, die sie notwendigerweise zum Lernen brauchen. Sie nimmt den Lehrkräften die Chance, Themen zu vertiefen und auf die Interessen ihrer Schülerinnen und Schüler einzugehen. Sie lässt immer wieder immer weniger Raum für Lernen und Engagement neben den Prüfungsfächern. Das gilt z. B. für Engagements in Sportvereinen oder in sozialen Initiativen.
[...]
Ministerpräsident Bouffier hatte am Tag zuvor [vor der Pressekonferenz (Red.)] verkündet, er könne sich vorstellen, G 8 und G 9 könnten gleichzeitig an einem Gymnasium angeboten werden. In der Pressekonferenz der Ministerin Beer wurde daraus dann ein völlig unausgegorener Modellversuch: Schulen dürfen G 8 und G 9 anbieten, wenn sie mindestens vierzügig sind und wenn sie nach zwei Jahren Unterricht nach den G-8-Vorgaben am Ende der Klasse 6, notfalls gegen den Willen der Eltern, entscheiden, welches Kind G-8-geeignet ist und welches nicht. Ich frage Sie ernsthaft: Wo bleibt denn da Ihre viel beschworene Wahlfreiheit der Eltern – wenn letztlich doch die Schulen entscheiden sollen?
[...]
Herr Präsident, mein letzter Satz: Ich will noch eine alte Weisheit der Dakota-Indianer wiederholen: Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steige ab. – Frau Kultusministerin, da ich selbst reite, kann ich Ihnen versichern: Es nützt nichts, die Sporen zu verwenden und laut „Hü“ zu rufen. Dieser Gaul bleibt tot. G 8 in Hessen in der Mittelstufe ist gescheitert.


Barbara Cárdenas (DIE LINKE):

Laut einer Studie des Allensbach-Instituts sind 71 % der befragten Eltern für eine Rückkehr zu G 9 – so wie wir und die GEW. Auf die bundesweite zweite Jahresstudie, deren Ergebnisse gerade erst veröffentlicht wurden, ist Frau Habermann schon eingegangen. Auch sie hat eine weitere Steigerung ergeben: Es sind noch mehr, die generell zu G 9 zurück wollen. Meine Damen und Herren, das lässt Gutes für die Wahlen hoffen. Frau Ravensburg, da können Sie noch so sehr behaupten, die Eltern wollten nicht mehrheitlich G 9.


Mario Döweling (FDP):

G 8 ist für uns ein sehr erfolgreiches und sehr richtiges Modell.
[...]
Wir haben uns aufgrund der Erfahrungen, die es nach der Öffnung des Angebots [zu G 9 zurück zu kehren (Red.)] für die kooperativen Gesamtschulen gab, entschlossen, keine Rückkehr im laufenden Schuljahr möglich zu machen.


Mathias Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie haben G 8 in Hessen grottenschlecht eingeführt. Sie haben einen Versuch mit einer ganzen Schülergeneration gestartet. Eine ganze Schülergeneration musste dieses G 8 durchleiden, und weil bei Ihnen in der Bildungspolitik Ideologie immer wichtiger ist als Realität, haben Sie acht Jahre gebraucht, um Korrekturen einzuleiten. Das ist eine verantwortungs- und prinzipienlose Bildungspolitik.
[...]
Wir begrüßen ausdrücklich, dass Sie die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 jetzt endlich einführen wollen. Nur, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, Wahlfreiheit muss man nicht nur wollen, Wahlfreiheit muss man auch können.


Nicola Beer (FDP), Kultusministerin:

Ich teile überhaupt nicht die Meinung derer, die in diesem Haus versuchen, den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern, aber insbesondere auch sehr vielen engagierten Lehrerinnen und Lehrern einzureden, G 8 sei gescheitert. Dieser Meinung bin ich überhaupt nicht. Ich glaube, dass die 165 Schulen in diesem Land, die G 8 umgesetzt haben – entweder als Gymnasium oder als kooperative Gesamtschule –, dies sehr engagiert machen.
[...]
Gleichwohl mussten wir zur Kenntnis nehmen – in dieser Sache bin ich nun wirklich ein absoluter Pragmatiker –, dass es immer wieder an einzelnen Stellen Beschwerden über die Umsetzung von G 8 gegeben hat und dass es auch immer wieder das Gefühl der Überlastung, das Gefühl von zu viel in zu kurzer Zeit gegeben hat. Genau das war der Anlass, dass diese Koalition gesagt hat: Wir sind eben nicht ideologisch verbohrt, sondern wir gehen diesen Beschwerden nach. Wir schauen, woran es liegen könnte, dass in einzelnen Fällen, dass in einzelnen Schulen keine volle Zufriedenheit mit G 8 vorhanden ist.
[...]
Dementsprechend arbeiten wir bei dem G-8-Konzept nach. Wir legen dabei das Augenmerk vor allem darauf, dass die mittlerweile als Rechtslage gültigen neuen Kerncurricula auch Eingang in die Klassenzimmer vor Ort finden.

(Norbert Schmitt (SPD): Schon nach acht Jahren!)

– Herr Kollege, Sie wissen, dass diese neuen Kerncurricula noch keine acht Jahre gelten, sondern erst seit 2010/2011. Von daher sind wir noch in einem Umstellungsprozess
[...]
Zur Qualität, Freiheit und Vielfalt gehört für uns auch,dass Eltern jetzt auch bei den klassischen Gymnasien zwischen G 8 und G 9 wählen können sollen. Die Wahl zwischen G 8 und G 9 war – für die, die es noch nicht mitbekommen haben – auch in den letzten Jahren möglich. Eltern konnten sich für G 9 entscheiden, sei es im Rahmen der integrierten Gesamtschulen, sei es im Rahmen der kooperativen Gesamtschulen, die sich für G 9 entschieden haben.
[...]
Keiner muss den Weg hin zu G 9 an seinem Gymnasium gehen. Keiner muss diesen Weg sofort gehen. Es muss also keiner diese Umstellung zum 01.08.2013 durchführen. Aber unsere Planungen und Unterstützungen sind so, dass dieser Weg von denen, die sich ganz schnell auf den Weg machen wollen, bis zum 01.08.2013 gegangen werden kann.


Präsident Norbert Kartmann:

Frau Ministerin, gestatten Sie Zwischenfragen?
(Ministerin Nicola Beer: Bitte schön!)
Für eine Zwischenfrage hat sich Herr Kollege Wagner gemeldet.
Bitte.


Mathias Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Ministerin, ich hatte nicht infrage gestellt, dass die Schulen auch noch später wechseln können. Meine Frage war, wie realistisch ist das, dass die Schulen bis dahin ein eigenes Konzept aufstellen, dann der Schulträger den Schulentwicklungsplan ändert und dann auch noch das Ministerium der Änderung des Schulentwicklungsplans zustimmt – angesichts dessen, dass wir heute diesen Gesetzentwurf in der ersten Lesung beraten? 


Nicola Beer (FDP), Kultusministerin:

Sehr geehrter Herr Kollege Wagner, das ist realistisch. Das kann man machen, wenn man diesen Weg gehen möchte.
[...]
Wir sind seitens der Bildungsverwaltung, der Staatlichen Schulämter, aber auch des Kultusministeriums darauf vorbereitet, die entsprechenden Genehmigungsverfahren zügig durchzuführen. Ich gehe davon aus, dass ein Schulträger in der Lage ist, für ein paar vereinzelte Schulen eine entsprechende Teilfortschreibung seines Schulentwicklungsplans zügig vorzunehmen, so er das möchte.


1 Kommentar:

  1. Einige persönliche Anmerkungen zu diesen Rede-Ausschnitten aus der Plenarsitzung.

    Vorweg sei jedem angeraten, das Protokoll der Sitzung zu lesen. Man lernt eine Menge über Plenar-Kultur und Politik.

    Frau Ravensburg meint zu wissen, was Eltern wünschen. Sie kennt MICH nicht und ich glaube, insgesamt pauschalisiert sie zu sehr. Die Schulsituation in Marburg ist eine ganz andere als z.B. in Darmstadt oder Hanau.

    Immerhin haben wir bei ihr eine eindeutige Aussage zum Stellenbestand für Ganztagsangebote. Das sollten wir uns gut merken!

    Frau Habermann bringt die Position ihrer Partei deutlich zum Ausdruck. Muss sie auch, wäre seltsam wenn nicht. Sie sieht aber sehr klar, dass die relative Ruhe um G8, die bis vor kurzem herrschte, eigentlich nur der Resignation der Eltern entspringt. Die Aussage, dass G8 gescheitert ist, findet man bei ihr und der SPD sonst nirgends.

    Frau Cárdenas sagt nicht viel nennenswertes, immerhin kann sie belegen, dass der mehrheitliche Elternwille NICHT für G8 ist.

    Herr Döweling bewährt sich als Fahnenträger. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

    Herr Wagner begrüßt für seine Partei zu diesem Zeitpunkt die Wahlmöglichkeit. Für B90/Die Grünen ist G8 keinesfalls ein gescheitertes Modell. Diese Position mag sich vor dem Eindruck der massiven Anfragen gerade der Marburger Eltern inzwischen Bewegung befinden. Trotzdem bezieht B90/Die Grünen keine eindeutige Position für G9. Einer der Hauptkritikpunkte von Hr. Wagner ist die Geschwindigkeit, mit der nun Schulen, die im Blick auf die Erwartung der jetzigen 4.-Klässler ganz schnell handeln müssen, den Wechsel zu G9 umsetzen müssen.

    Die Rede von Frau Beer wieder zu geben fällt schwer. Ihr Anliegen ist es, die Diskussion um die Gesetzesänderung nicht so sehr auf einen Wechsel von G8 zu G9 zu beziehen. Sie redet lieber über die Dinge, die sie mit dieser Gesetzesänderung für die Schulen tun möchte, die G8 die Stange halten. Beim Thema G9 redet sie die G8-Probleme klein und preist sich als Pragmatikerin an, die selbst die "kleinen Probleme" ernst nimmt und den Eltern da gerne Abhilfe schafft. Sie behauptet, Eltern hätten schon länger die Möglichkeit, G9 für Ihre Kinder zu wählen. Das mag in den Ballungsräumen noch realistisch sein, wo es eine Menge kooperative Gesmatschulen mit G9 und einer Oberstufe gibt. In Marburg gibt es nur eine integrative Gesamtschule, ohne Oberstufe. Das Gesamtschulkonzept mag sehr gute Ansätze haben, aber für G9-Gymnasiasten ist eine G9-Wahl in Marburg IMMER mit einem Schulwechsel und allen damit einher gehenden Problemen verbunden.

    Begrüßenswert sind die Zusicherungen der Ministerin, dass es kein Problem beim Antragsweg für G9 geben wird. Wir werden uns das gut merken und sie beim Wort nehmen müssen.

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